Sprache ist eine Brücke für den Frieden

Der Bundestag hat heute anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Zeichnung der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen debattiert und eine Zwischenbilanz gezogen. In seiner Rede fordert Raju Sharma die aktive Umsetzung der Charta in Deutschland: „Minderheiten sind eine Bereicherung für das ganze Land, und deshalb braucht es eine Minderheitenpolitik, die Sprachen und Traditionen von Minderheiten als Teil eines Ganzen und als Bereicherung im Zusammenleben von Menschen begreift, fördert und schützt.“

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das is ja man een Fest för de Tohörer un Tokiekers, wenn een so Plattdütsch schnackt as de Kollege Börnsen; un so klook!

(Heiterkeit im ganzen Hause)Das Problem ist aber, dass wir so viele Sprachen haben, über die

wir reden. Mit dansk er dårligt, und wenn ich jetzt mit Sorbisch oder mit Friesisch anfange, dann versteht sowieso keiner etwas. Ich versuche es mal auf Hochdeutsch:

„Sprache ist eine Waffe“, schrieb der Pazifist Kurt Tucholsky, und das ist zweifellos richtig. Sprache kann aber auch eine Brücke und eine Grundlage für eine gelungene Verständigung sein. Sprache schafft Identität. Wenn wir unsere Sprache verlieren, geht auch ein Stück unserer Identität verloren. Das gilt ganz besonders für Minderheiten. Sie zu schützen und damit einen Beitrag zu Frieden und Völkerverständigung zu leisten, ist ein wesentliches Anliegen der Europäischen Charta für Regional- oder Minderheitensprachen,

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU))

die vor nunmehr 20 Jahren vom Europarat zur Zeichnung aufgelegt wurde. Dass der vorliegende fraktionsübergreifende Antrag dies würdigt, ist auch aus Sicht der Linken ausdrücklich zu begrüßen.

Oft ist jedoch nicht entscheidend, was man sagt, sondern das, was man nicht sagt. So richtig die Ziele sind, zu denen Deutschland sich mit der Unterzeichnung der Europäischen Sprachencharta verpflichtet hat, so unzureichend ist immer noch der Stand der Umsetzung. Manche der in den vier Kontrollberichten aufgezeigten Defizite lassen sich mit zusätzlichen Anstrengungen und mit zusätzlichem Geld beheben. Andere Probleme sind strukturell. Wenn wir hier zu entscheidenden Verbesserungen kommen wollen, müssen wir auch diese strukturellen Mängel ansprechen und bereit sein, sie grundlegend zu verändern. Ich will das an drei Beispielen deutlich machen:

Erstens. Der Minderheitenbegriff muss weiter gedacht werden. Derzeit bezieht die Sprachencharta sich nur auf nationale und autochthone Minderheiten. Es gibt in Deutschland aber noch weitere Minderheiten, deren Sprache gefährdet ist, die aber noch keinen Schutz genießen. Die Überlegung, auch die Sprache anderer Gruppen mit jüngerem Migrationshintergrund zu schützen, mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Wenn wir aber wissen, dass in Tschechien rund 60 000 eingewanderte sogenannte Gastarbeiter aus Vietnam als nationale Minderheit geschützt werden, dann ist die Idee, sich aktiv für den Schutz und die Förderung der Sprache von über 800 000 in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden einzusetzen, ganz sicher nicht mehr so abwegig.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Keine Sprache ohne Sprecherinnen und Sprecher. Wenn   wie in der Lausitz   infolge des Braunkohleabbaus viele Menschen ihre Heimat und ihre Arbeit verlieren, ist nicht nur die Region vom Aussterben bedroht, sondern auch die sorbische Minderheit. Wenn sorbische Dörfer umgesiedelt und abgebaggert werden, werden auch die Kultur und die Sprache der Sorben zurückgedrängt. Minderheitenschutz bedeutet hier ganz konkret, dass die Wirtschaftsregion erhalten bleiben und gefördert werden muss. Mit dem geltenden Bergrecht ist das kaum möglich.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Minderheitenschutz ist auch Sache des Bundes. Viele der Verpflichtungen, die Deutschland mit der Unterzeichnung der Europäischen Sprachencharta eingegangen ist, müssen aufgrund unseres föderalen Aufbaus von den Ländern umgesetzt werden. Minderheiten und ihre Kultur sind aber eine Bereicherung für die ganze Gesellschaft. Deshalb sollte sich der Bund auch angemessen an den damit verbundenen Kosten beteiligen.
Als die frühere schleswig-holsteinische Landesregierung entgegen der mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen eingegangenen Verpflichtungen die Zuschüsse für die Schulen der dänischen Minderheit massiv gekürzt hat,

(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!)

ist es Regierung und Opposition auf Bundesebene gelungen, durch gemeinsame Anstrengungen und viel Kreativität die gravierendsten Folgen dieser Eingriffe abzuwenden.

(Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Siehst mol, wie düchtig de sünd!)

Das war im Einzelfall gut und richtig. Anstelle von Notlösungen benötigen wir aber Regelungen, die den Bund dauerhaft in die Lage versetzen, seiner Verantwortung zum Schutz der Minderheiten gerecht zu werden.
Wenn das mit der Föderalismusreform eingeführte Kooperationsverbot einem wirksamen Schutz der Minderheiten im Wege steht, so sollten wir das Kooperationsverbot beseitigen und nicht den Minderheitenschutz.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Am guten Willen der Länder sollte dies nicht scheitern. Während der Schleswig-Holsteinische Landtag als erstes Parlament mit den Stimmen aller Fraktionen einen Anspruch der Sinti und Roma auf Schutz und Förderung in der Landesverfassung verankert hat, hat der Verfassungsminister des Bundes eine Debatte über einen angeblichen Asylmissbrauch von Sinti und Roma aus Serbien und Mazedonien angestoßen. Hier kann der Kollege Friedrich von seinen Parteifreunden im Norden noch einiges lernen.

(Beifall bei der LINKEN)

Minderheiten sind eine Bereicherung für das ganze Land. Deshalb braucht es eine Minderheitenpolitik, die Sprachen und Traditionen von Minderheiten als Teil eines Ganzen und als Bereicherung im Zusammenleben von Menschen begreift, fördert und schützt. Die Europäische Sprachencharta hat hierzu einen wichtigen Beitrag geleistet. Dies zu würdigen, ist gut. Sie umzusetzen, wäre noch besser.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)