Verfassung achten, Länderhaushalte entlasten – Staatsleistungen endlich ablösen!

Der Bundestag befasste sich am 28. Februar erstmals mit den Staatsleistungen: Staatsleistungen sind finanzielle Zuwendungen der Bundesländer an Kirchen, die aufgrund historischer Begebenheiten entstanden sind und laut Verfassung schon längt abgegolten sein sollten. Dennoch zahlen die Bundesländer jährlich rund eine halbe Milliarde Euro an die Kirchen. Die Linksfraktion hat deshalb einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen regeln soll. Raju Sharma forderte in seiner Rede, den Verfassungsauftrag endlich zu erfüllen: „Dieser Verfassungsauftrag ist eindeutig, unmissverständlich und verbindlich!“

Der Bundestag befasste sich am 28. Februar erstmals mit den Staatsleistungen: Staatsleistungen sind finanzielle Zuwendungen der Bundesländer an Kirchen, die aufgrund historischer Begebenheiten entstanden sind und laut Verfassung schon längt abgegolten sein sollten. Dennoch zahlen die Bundesländer jährlich rund eine halbe Milliarde Euro an die Kirchen. Die Linksfraktion hat deshalb einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen regeln soll. Raju Sharma forderte in seiner Rede, den Verfassungsauftrag endlich zu erfüllen: „Dieser Verfassungsauftrag ist eindeutig, unmissverständlich und verbindlich!“

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

DIE LINKE hat einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen vorgelegt.

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Warum eigentlich?)

Worum geht es dabei? - Zunächst sollte ich vielleicht erklären, worum es nicht geht. Wir reden heute nicht über Kirchensteuern oder staatliche Zuschüsse für kirchliche Kindergärten, Pflegeheime oder Seelsorger in Justizvollzugsanstalten. All das wird gesondert geregelt, woanders abgerechnet, und all das wird auch gesondert vergütet.

Wir reden heute über Entschädigungen, Entschädigungen für Enteignungen, die 200 Jahre zurückliegen und durch die man versucht hat, nach dem sogenannten Reichsdeputationshauptschluss von 1803 Rechtsfrieden zu schaffen. Seitdem zahlen die Länder Jahr für Jahr pauschalierte Summen für Personalkosten und Baulasten an die Kirchen.

Schon während der Verhandlungen über die Weimarer Reichsverfassung gab es in der Gesellschaft einen großen Konsens darüber, dass mit diesen Zahlungen Schluss gemacht werden sollte.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Der liberale Friedrich Naumann ‑ der Friedrich Naumann ‑ forderte schon im Jahr 1919, dass der Staat Inventur macht und diese Staatsleistungen ablöst.

(Zuruf von der LINKEN: Damals schon gesagt!)

Darüber gab es, wie gesagt, einen großen Konsens.

In der Konsequenz wurde in der Weimarer Verfassung ein doppelter Verfassungsauftrag

(Zuruf von der LINKEN: Genau!)

mit zwei Adressaten festgeschrieben: Erstens sollten die Länder durch Landesgesetzgebung die Staatsleistungen ablösen. Zweitens wurde das Reich bzw. später der Bund verpflichtet, ein Grundsätzegesetz zu erlassen, damit diese Ablösung nach einheitlichen Regeln stattfinden kann. Dieser Verfassungsauftrag wurde später unverändert in das Grundgesetz übernommen. Also nochmals: doppelter Verfassungsauftrag mit zwei Adressaten, das heißt, die Länder sind verpflichtet, Gesetze zu erlassen; sie können ihrer Verpflichtung aber erst dann nachkommen, wenn zuvor der Bund seine Verpflichtung erfüllt hat, indem er besagtes Grundsätzegesetz erlässt.

Dieser Verfassungsauftrag ist jetzt über 90 Jahre alt. Nun kann man fragen: Wo ist denn dieses Gesetz des Bundes? ‑ Sie können lange forsten in den Gesetzesarchiven des Bundes, Sie werden feststellen: Da gibt es kein Gesetz. Es gibt auch keine Initiative der Bundesregierung, so ein Gesetz auf den Weg zu bringen.

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Gar nichts? - Zuruf von der LINKEN: 90 Jahre nicht!)

- Da ist nichts zu finden, Herr Kollege Wiefelspütz. - Ich habe deshalb bei der Bundesregierung angefragt, was sie zu tun gedenkt, um diesen Zustand zu beenden. Die schriftliche Antwort der Bundesregierung war einerseits erfrischend offen, andererseits aber auch bemerkenswert dreist; denn die Aussage der Bundesregierung war: Erstens. Ja, es gibt diesen Verfassungsauftrag. Zweitens. Ja, wir wissen, er ist noch nicht erfüllt. Drittens. Wir gedenken nicht, irgendetwas zu tun; es gibt keinen Handlungsbedarf.

Wir als LINKE sagen: So geht man mit unserem Grundgesetz nicht um!

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rolf Schwanitz (SPD) ‑ Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Rechtsstaatspartei Die Linke! Grundgesetzpartei Die Linke! Respekt!)

Dieser Verfassungsauftrag ist eindeutig, unmissverständlich und verbindlich. Es ist aber nichts passiert.

Das Problem ist jetzt: Die Länder können nicht handeln; ihnen sind, weil der Bund untätig ist, die Hände gebunden. So zahlen sie Jahr für Jahr Staatsleistungen in Millionenhöhe,

(Zuruf von der LINKEN: 460 Millionen!)

jedes Jahr ‑ alle Länder zusammen ‑ ungefähr 500 Millionen Euro,

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): 460 Millionen!)

eine halbe Milliarde Euro, und können nichts tun. Das allein ist Grund, aktiv zu werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rolf Schwanitz (SPD))

Die Länder müssen zahlen, obwohl sie - das wissen wir alle - im Grunde gar kein Geld haben.

Ich will das an einem konkreten Beispiel festmachen, wie viel Länder zahlen, die kein Geld haben: Schleswig-Holstein - selbst ein verschuldetes Land - zahlt jedes Jahr 12 Millionen Euro an Staatsleistungen. Genau diese Summe fehlt dem Verkehrsminister des Landes für die ganz irdische Beseitigung von Schlaglöchern in den Straßen Schleswig-Holsteins; so wirkt sich das aus.

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Sind Sie ein genialer Haushaltspolitiker!)

- Ich komme gleich zu den Haushalten der Länder, für die auch Sie sich einsetzen sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn die Länder jetzt mit Kirchen verhandeln wollen, um diese Staatsleistungen zu reduzieren ‑ dazu werden sie von den Landesrechnungshöfen aufgefordert ‑, dann müssen sie gegenüber den Kirchen als Bittsteller auftreten; denn die Kirchen können völlig zu Recht sagen: Solange der Bund kein Grundsätzegesetz erlassen hat, haben wir einen Anspruch auf diese Staatsleistungen.

Wir LINKE haben jetzt einen Vorschlag eingebracht, wie man das regeln kann,

(Beifall bei der LINKEN)

nicht nur, weil wir die Partei sind, die sich für die Verfassung einsetzt, sondern auch ‑ ‑

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Entschuldigung, Herr Sharma! Herr Schwanitz würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das zulassen?

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Ist das abgesprochen? ‑ Nein! - Gisela Piltz (FDP): Muss das sein?)

Raju Sharma (DIE LINKE):

Bitte.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Bitte schön.

Rolf Schwanitz (SPD):

Herr Kollege Sharma, Sie haben aus meiner Sicht einen sehr guten und längst überfälligen Gesetzentwurf vorgelegt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das betrifft auch die ‑ ich sage einmal ‑ Übergangsregelungen in dem Gesetzentwurf; hier ist ja unter anderem ein degressives Vorgehen vorgesehen. Ich habe eine Frage an Sie: Sie sprechen in Ihrem Gesetzentwurf in diesem Zusammenhang von „Entschädigungszahlung“. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass es angesichts der Tatsache, dass dieser Ablösungsbefehl seit über 90 Jahren nicht eingelöst worden ist, der Begriff der Entschädigung unangemessen ist und noch einmal überdacht werden muss?

Raju Sharma (DIE LINKE):

Das ist ein interessanter Aspekt, Herr Kollege Schwanitz. Man kann diese Rechtsauffassung vertreten.

(Zuruf von der FDP: Nein!)

Diese Rechtsauffassung wird auch in der Literatur vertreten. Viele Menschen sagen: Durch die jahrhundertelangen Zahlungen - darum handelt es sich ja - sind diese Staatsleistungen längst abgegolten. ‑ Wir haben uns diese Rechtsauffassung in unserem Gesetzentwurf ganz bewusst nicht zu eigen gemacht,

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Sie waren großzügig! Sie verschenken Geld!)

obwohl man sie natürlich vertreten kann, weil wir die Diskussion nicht gleich an dieser Stelle beendet sehen wollten. Wir wollen eine Diskussion und wollen diese auch fortsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Unser Gesetzentwurf sieht vor, dass die Länder das Zehnfache eines Jahresbetrages als Ablösesumme zahlen. Sie können das auf einen Schlag tun oder über einen Zeitraum von maximal 20 Jahren strecken.

In 20 Jahren schreiben wir das Jahr 2033. Dann hätten die Länder 230 Jahre lang Staatsleistungen an die Kirchen gezahlt. Der Verfassungsauftrag, der sagt, das müsse beendet werden, wäre dann auch schon 114 Jahre alt.

Wir finden, das ist ein moderater Vorschlag. Wir sind aber ebenso der Meinung: Dann muss auch gut sein. Das geht nicht bis in alle Ewigkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rolf Schwanitz (SPD))

Ich weiß, dass einige von Ihnen jetzt möglicherweise wieder behaupten werden, dieser Vorschlag sei kirchenfeindlich. Ich sage Ihnen: Das ist alles Quatsch. Dieser Vorschlag ist sehr sinnvoll und überhaupt nicht kirchenfeindlich. Ganz im Gegenteil! Der scheidende Papst Benedikt XVI. hat in seiner Freiburger Rede 2011 darauf hingewiesen, dass eine Entweltlichung der Kirche und ein Abschaffen der Privilegien kein Angriff auf die Kirche ist, sondern dass das dazu beitragen kann, den christlichen Glauben zu stärken.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Da hat er resigniert!)

Nun will ich hier bestimmt niemanden katholisch machen, und ich teile auch bei weitem nicht alles, was der scheidende Papst gesagt hat; aber an dieser einen Stelle hat er einfach einmal recht.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Wo er recht hat, hat er recht!)

Die Staatsleistungen an die Kirchen sind kein Gottesdienst. Sie sind ein Relikt aus dem vorvorletzten Jahrhundert, und es ist höchste Zeit, Inventur zu machen und aufgeräumt in die Zukunft zu gehen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rolf Schwanitz (SPD))