Revolutionäre Rezepte – zur Programmdebatte in der LINKEN

„Nur Begeisterung kann große Werke vollbringen. Überzeugung und Vertrauen ist nötig; Klarheit über Weg und Ziel.“ Wenn die Führung der LINKEN in der Bundesgeschäftsstelle zu einer Vorstandssitzung zusammenkommt, wird  sie im Eingangsbereich mit einem Karl-Liebknecht-Zitat empfangen, das auf ein paar wesentliche Zutaten jeder erfolgreichen Revolution hinweist.

Mit diesen Zutaten allein ist es jedoch nicht getan; die inhaltlichen Bestandteile und konzeptionellen Beilagen der revolutionären Rezeptur werden üblicherweise im Grundsatzprogramm einer Partei beschrieben. Für DIE LINKE waren dies zunächst die „programmatischen Eckpunkte“[1]; der erste Entwurf für ein „richtiges“ Parteiprogramm wurde im März 2010 von den damaligen Vorsitzenden Lothar Bisky und Oskar Lafontaine vorgestellt.[2] Es folgte eine lebhafte Programmdebatte mit mehreren Hundert regionalen und überregionalen Diskussionsveranstaltungen, Konferenzen, Foren und Konventen, ungefähr ebenso vielen schriftlichen Wortmeldungen an die Redaktionskommission unter der Leitung der neuen Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Den vorläufigen Schlusspunkt unter die bisherige Diskussion setzte der Parteivorstand im Juli 2011 mit der Verabschiedung eines Leitantrags[3] für den Erfurter Parteitag im Oktober 2011 - „mit überwältigender Mehrheit  bei zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung“, wie es im Mitgliederbrief der Parteivorsitzenden vom 11. Juli 2011 heißt.[4]

Eine der Gegenstimmen war meine: Mich hatte die Mehrheit nicht überwältigt, ich war und bin vom Programmentwurf  nicht überzeugt. Die Gründe dafür hatte ich bereits bei der ersten Lesung des Entwurfs im Parteivorstand im Mai 2011 ausgeführt;[5] sie gelten im wesentlichen bis heute und waren im Kern bereits im ersten Programmentwurf angelegt.

Zu diesem ersten Entwurf  hatte ich mich – mit Einzelbeiträgen und gemeinsam mit anderen Genossinnen und Genossen – mehrfach zu Wort gemeldet. In der Mitgliederzeitschrift DISPUT hatte ich im August 2010 für eine klare Positionierung bei Grundsatz- und Glaubensfragen geworben;[6] gemeinsam mit Jan Korte, Stefan Liebich und Halina Wawzyniak hatte ich im September 2010 in einem in der taz veröffentlichen Beitrag die Auffassung vertreten, dass der Programmentwurf  nicht hinreichend der Zukunft zugewandt sei;[7] im Oktober 2010 sprach ich mich im Neuen Deutschland erneut für ein Bekenntnis zum Laizismus aus;[8] und Anfang 2011 erschien wiederum im DISPUT ein Beitrag von Heiko Kosel und mir zur Berücksichtigung der Minderheitenfrage  im Parteiprogramm.[9]

Am 11. Januar 2011 schickten die stellvertretende Parteivorsitzende Halina Wawzyniak und ich einen Alternativen Programmentwurf[10] als Wortmeldung an die Redaktionskommission. Nachdem hochrangige Parteifunktionäre ungeachtet der vielfach geäußerten Kritik am offiziellen Programmentwurf zuvor wiederholt öffentlich erklärt hatten, ihnen seien keine „konkreten Reformvorschläge“ bekannt, unternahmen Halina Wawzyniak und ich den Versuch, „die (vielen) gelungenen Passagen des Programmentwurfs zu nutzen und auf die wesentlichen Aussagen zu verdichten, die bisher geäußerte Kritik an bestimmten Inhalten des Programmentwurfs aufzugreifen, und den Entwurf auch in seiner Struktur zu dem zu machen, was Grundsatzprogramme von Parteien insgesamt sein sollten: Nämlich der Versuch, die für die Gestaltung der Zukunft entscheidenden Fragestellungen zu beschreiben und Antworten darauf zu geben, die von den Menschen nachvollzogen und als attraktive Angebote für die Gesellschaft von morgen angenommen werden können.“

Innerhalb der Partei stieß der Alternative Programmentwurf auf großes Interesse. Dabei war sowohl bei den Diskussionsveranstaltungen zur Programmdebatte (u.a. in Berlin, Brandenburg und Bayern) als auch bei den vielen Zuschriften, die uns erreicht haben, das Echo ganz überwiegend positiv. Viele Mitglieder waren nach eigenem Bekunden dankbar, dass mit unserem – ausdrücklich als „Alternative“ titulierten – Programmentwurf  die bisweilen als „Anrühren von Zement“ empfundene Debattenkultur der Parteiführung durchbrochen wurde; gefreut haben wir uns aber auch über viele konkrete Hinweise und Änderungsvorschläge zu unserem Programmentwurf.

Demgegenüber lehnte die Mehrheit der Redaktionskommission es ab, sich inhaltlich näher mit dem Alternativen Programmentwurf zu befassen. Demzufolge spielte er auch in den Beratungen des Parteivorstands keine Rolle. Mit insgesamt 67 Änderungsanträgen zu dem von der Redaktionskommission vorgelegten Entwurf versuchten wir, zumindest einzelne Aspekte des Alternativen Programmentwurfs im Parteivorstand zur Abstimmung zu bringen. In einem Fall ist dies mit der Einfügung des Wortes „weltweit“ (Zeile 2198 des Leitantrags) erfolgreich gewesen.[11]

In ihrem Mitgliederbrief fordern die Parteivorsitzenden die Landesverbände dazu auf, „die Programmdebatte mit dem Leitantrag fortzusetzen, in enger Zusammenarbeit mit den Kreisverbänden übergreifende, regionale Basiskonferenzen zu organisieren und die Mitglieder der Redaktionskommission und des Parteivorstandes als Referentinnen und Referenten zu nutzen.“ Die Zeit solle vor allem genutzt werden, „unsere programmatischen Vorstellungen mit einer breiteren Öffentlichkeit, also über die Parteigremien hinaus zu diskutieren und weitere Anregungen aufzunehmen.“

Formaler Antragsschluss für Änderungsanträge zum Leitantrag ist der 6. Oktober 2011. Im Interesse einer sorgfältigen Vorbereitung des Parteitages und seiner Debatten wird jedoch gebeten, Änderungsanträge bereits spätestens vier Wochen vor Beginn des Parteitages einzureichen, also einen „freiwilligen Antragsschluss“ am 22. September 2011 zu beachten.

Auch der schleswig-holsteinische Landesverband sollte die Zeit bis zum Bundesparteitag nutzen. Eine lebhafte und kulturvolle Debatte um das Grundsatzprogramm der Partei könnte eine gute Grundlage werden für die anschließende Diskussion eines Landtagswahlprogramms der Linken in Schleswig-Holstein. Damit am Ende für beides zutrifft, was Oskar Lafontaine (damals noch in anderer Funktion) bei einem Bundesparteitag im Jahr 1995 gesagt hat: „Ihr seht also, liebe Genossinnen und Genossen … Es gibt noch Politikentwürfe, für die wir uns begeistern können. Wenn wir selbst begeistert sind, können wir auch andere begeistern.“[12] Denn nur Begeisterung kann große Werke vollbringen. Überzeugung und Vertrauen ist nötig; Klarheit über Weg und Ziel.


[1]Programmatische Eckpunkte – Programmatisches Gründungsdokument der Partei DIE LINKE (Beschluss der Parteitage von WASG und Linkspartei.PDS am 24. und 25. März 2007 in Dortmund): http://bit.ly/ogc0bt

[2]1. Entwurf für ein Programm der Partei DIE LINKE: http://bit.ly/pWF3yU

[3]Leitanträge zum Erfurter Parteitag 21 bis 23. Oktober 2011: http://bit.ly/pucrae

[4]Brief der Vorsitzenden an die Mitglieder der Partei: http://bit.ly/qhZHxS

[5]Minderheitenvotum von Raju Sharma zum Programmentwurf der LINKEN nach der Beratung des Parteivorstands am 21./22. Mai 2011: http://bit.ly/j6i9sU

[6]Raju Sharma: Grundsatz- und Glaubensfragen. Eindeutig Stellung beziehen (http://bit.ly/qIBRc4)

[7]Jan Korte/Stefan Liebich/Raju Sharma/Halina Wawzyniak: …und der Zukunft zugewandt (ein Beitrag zur Programmdebatte der LINKEN) (http://bit.ly/o7YC5y)

[8]Raju Sharma: Gretchenfrage für die LINKE (http://bit.ly/n3ti01)

[9]Heiko Kosel/Raju Sharma: Minderheiten schützen – praktisch und programmatisch (http://bit.ly/p0rXgW)

[10]Raju Sharma/Halina Wawzyniak: Warum ein Alternativentwurf? – oder: Die Sehnsucht nach dem Meer     (Noch ein Beitrag zur Programmdebatte der LINKEN) (http://bit.ly/n8gnr7)

[11]„Die Nutzung von Biomasse zur Energieerzeugung ist erst dann vertretbar, wenn weltweit die vollständige Eigenversorgung mit Nahrungs- und Futtermitteln sowie Industrierohstoffen aus der Landwirtschaft gewährleistet ist.“ (aus Leitanträge zum Erfurter Parteitag, 21. bis 23. Oktober 2011)

[12]Oskar Lafontaine auf dem Bundesparteitag im November 1995 in Mannheim (http://bit.ly/nSnTnO)