Es rettet uns kein höh‘res Wesen - Arbeitnehmerrechte in kirchlichen Einrichtungen endlich stärken!

Der Bundestag hat heute in letzter Beratung über den Antrag „Grundrechte der Beschäftigten von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen stärken“ der Bundestagsfraktion DIE LINKE debattiert und abgestimmt. Raju Sharma fordert in seiner Rede die Opposition auf, sich gemeinsam für die Stärkung von Arbeitnehmerrechten einzusetzen: „Lassen Sie uns im Interesse der Beschäftigten etwas erreichen! Und was könnten wir erreichen, wenn wir schreiten Seit‘ an Seit‘!“

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Nach unserer Verfassung haben die Kirchen das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu organisieren, selbst zu regeln. Das betrifft auch das Kirchenarbeitsrecht. Im Rahmen des Kirchenarbeitsrechts gilt das sowohl für das kollektive Arbeitsrecht, also für Fragen der Lohnforderungsdurchsetzung und für Fragen des Streikrechts, als auch für das individuelle Arbeitsrecht der insgesamt 1,3 Millionen Beschäftigen. Das heißt, die Kirchen definieren selbst, wie die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigen aussehen, in welchem Rahmen Gewerkschaften zugelassen werden, um an der Seite der Beschäftigten Lohnforderungen durchzusetzen, und in welchen Formen das passiert. Das Ganze führt zu einer strukturellen Benachteiligung. Wir LINKE empfinden das als ungerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber nicht nur wir empfinden das als ungerecht, sondern auch viele Beschäftigte. Sie wollen gegen diese Ungerechtigkeit vorgehen, indem sie Gerichte anrufen. Die Muster, nach denen die Gerichte entscheiden - der Kollege Weiß hat schon die jüngste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes genannt -, sind eigentlich immer die gleichen: Im Einzelfall, so stellen die Gerichte fest, gab es Ungerechtigkeiten; da wird den Betroffenen recht gegeben. Aber die Struktur des Dritten Weges, nämlich das Recht der Kirchen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, wird von den Gerichten im Prinzip bestätigt.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das muss Sie doch nachdenklich machen!)

Das ist für die Betroffenen im Einzelfall schön, aber das ist so, wie wenn man Unkraut beseitigen will:

(Dr. Stefan Ruppert (FDP): Schwieriger Vergleich, Herr Kollege!)

Wenn man nur ein bisschen an den missliebigen Trieben herumschnippelt, aber die Wurzel drinlässt, bleibt die Struktur problematisch.

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Ruppert (FDP))

Sie können sich nachher gern zu Wort melden. Sie kommen ja sogar noch zu Wort, Herr Ruppert. Also bitte!

(Otto Fricke (FDP): Ja, sehr gut erkannt!)

Die Beschäftigten suchen Hilfe bei Gericht, aber sie erhalten die Hilfe bei Gericht nicht. Deswegen gilt eine alte Volksweise - ich zitiere jetzt mit Genehmigung des Präsidenten:

Es rettet uns kein höh‘res Wesen
kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun
Uns aus dem Elend zu erlösen
können wir nur selber tun!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Dafür haben Sie bestimmt keine Genehmigung des Präsidenten!)

Danke schön.

„Selber tun“, wie es in dieser Volksweise heißt, das betrifft nicht nur die Beschäftigten selbst, die ja selber etwas tun können, die mithilfe ihrer Gewerkschaften für bessere Lohnbedingungen, für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen können. Das tun sie ja auch. Ich kann die Beschäftigten eigentlich nur ermutigen, mit den Gewerkschaften zusammen nicht zu warten, bis ihnen Rechte, auch Streikrechte, zugeteilt werden, gnädig zugewiesen werden - sondern ihre Rechte beherzt und mutig in die Hand zu nehmen, sich die Rechte zu nehmen, die ihnen ohnehin schon zustehen.

(Beifall bei der LINKEN)

„Selber tun“, das betrifft auch uns hier im Parlament; das hat der Kollege Schreiner völlig zu Recht gesagt. Auch wir können selber etwas tun. Die LINKE hat dazu im April 2011 einen Antrag vorgelegt, der vorsieht, dass die Beschäftigten bei den Kirchen und kirchlichen Einrichtungen die gleichen Rechte bekommen wie andere Beschäftigte auch. Wir finden das auch völlig legitim.

Nun habe ich nicht erwartet, als wir diesen Antrag vorgelegt haben, dass es von der rechten Seite des Hauses große Zustimmung geben wird. Das ist heute bestätigt worden. Sie wollen an dem festhalten, was es immer schon gab, weil es das immer schon gab; daran soll nichts geändert werden.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Wir achten die Verfassung! Das ist der Punkt! Das könnte die LINKE auch tun!)

Wir stellen fest: Es gibt Ungerechtigkeiten. Das stellen auch die Beschäftigten fest; wir haben es im Ausschuss gehört. Ich spreche jetzt nicht so sehr Sie von der Koalition an; von Ihnen habe ich nichts anderes erwartet. Ich wende mich jetzt einmal an die Kolleginnen und Kollegen von Grünen und SPD, die ja auch eine sehr kritische Haltung zum Kirchenarbeitsrecht und zum Dritten Weg haben. Sie haben gesagt: Das alles ist richtig. Sie teilen unsere Kritik, aber Sie teilen den Weg nicht, und Sie teilen die Schärfe des Antrags nicht. Deswegen werden die Grünen sich kraftvoll enthalten.

Zur SPD. Ich freue mich natürlich über das Lob des Kollegen Schreiner, der sagt: Sie haben ein wichtiges Thema beleuchtet. Aber im Ergebnis werden wir Ihren Antrag ablehnen.

(Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielleicht ist einfach der Weg falsch!)

Das Lob ist schön, aber das hilft den Beschäftigten überhaupt nicht. Wozu führt das jetzt? Das führt dazu, dass wir in den kommenden Wahlkämpfen sagen können: Wir haben einen Antrag vorgelegt, nach dem die Rechte der Beschäftigten gestärkt würden - immerhin geht es um 1,3 Millionen Beschäftigte, und die und die und die und die im Hause haben gesagt: Da gehen wir nicht mit. Davon haben wir nichts. Deswegen werbe ich noch einmal bei den Grünen und auch bei den Genossinnen und Genossen von der Sozialdemokratie darum: Dann legen Sie bitte eigene Anträge vor!

(Beifall bei der LINKEN)

Wir können gemeinsam darüber reden. Lassen Sie uns im Interesse der Beschäftigten etwas erreichen! Und was könnten wir erreichen, wenn wir schreiten Seit‘ an Seit‘!

(Beifall bei der LINKEN, Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Und jetzt alle!)

Bitte legt was vor! Wir sind dabei! Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)