„Keine Bagatellgrenze für religiös motivierte Körperverletzung“

Der Präsident des Zentralrates der Juden, Dieter Graumann, hat der LINKEN in einem Interview mit der Rheinischen Post „Sprachlosigkeit“ bei der Diskussion um das Beschneidungsurteil des Kölner Landgericht vorgeworfen. Zuvor forderte der Zentralrat der Juden die Parteien auf, einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf vorzulegen, der Beschneidungen aus religiösen Gründen erlauben soll.

Der Präsident des Zentralrates der Juden, Dieter Graumann, hat der LINKEN in einem Interview mit der Rheinischen Post „Sprachlosigkeit“ bei der Diskussion um das Beschneidungsurteil des Kölner Landgericht vorgeworfen. Zuvor forderte der Zentralrat der Juden die Parteien auf, einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf vorzulegen, der Beschneidungen aus religiösen Gründen erlauben soll.

In einem Schreiben an den Präsidenten des Zentralrat der Juden in Deutschland habe ich deutlich gemacht, dass die wichtige Diskussion um das Urteil nicht hektisch polemisch erfolgen darf, denn hier treffen berechtigte Fragen der Religionsfreiheit einerseits und dem Persönlichkeitsrecht sowie dem Recht auf körperliche Unversehrtheit andererseits aufeinander. 

„DIE LINKE verteidigt das Recht aller Menschen auf ein Bekenntnis zu einer Weltanschauung oder Religion. Sie tritt ein für den Schutz weltanschaulicher und religiöser Minderheiten. Laizismus bedeutet für uns die notwendige institutionelle Trennung von Staat und Kirche. (...)DIE LINKE achtet die Kirchen und Religionsgemeinschaften, ihre soziale Tätigkeit und ihre Unabhängigkeit.“ Diese Sätze des Erfurter Programms der LINKEN sind unsere Orientierung in religionspolitischen Fragen.

Der Respekt vor dem Glauben der Menschen und die freie Religionsausübung sind daher nicht trivial, nicht in einer schnellen Debatte vom Tisch zu wischen, sondern ein unschätzbar wichtiger Teil unserer Gesellschaft. 

Die Verunsicherung, die das Urteil des Landgerichtes Köln nicht nur bei den Mitgliedern der jüdischen Gemeinden ausgelöst hat, ist verständlich. Mir ist bewusst, dass viele Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland sich die Frage stellen, ob sie nicht nur willkommen, sondern auch als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft akzeptiert sind - das auch vor dem Hintergrund, dass die Brit Mila in der Vergangenheit von Antisemiten als Kastration dargestellt wurde mit dem Ziel, jüdisches Brauchtum in Misskredit zu bringen.

Dennoch halte ich das Urteil des Landgerichtes Köln für richtig und nachvollziehbar. Die Entscheidung für oder gegen eine Religionsgemeinschaft soll ein mündiger Bürger aus freien Stücken treffen. Das trifft auch auf die Entscheidung zu, ob ein unmündiger Säugling beschnitten werden soll. Es geht jedoch auch um die freie Entscheidung des Einzelnen, das Persönlichkeitsrecht, das Rechts auf körperliche Unversehrtheit, um das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung und auch um die Religionsfreiheit. Die gewinnt erst an Wert, wenn Menschen sich aus freien Stücken auf Grundlage einer bewussten Entscheidung zu ihrem Glauben bekennen.

Ich wundere mich über die schnelle Entscheidung der Bundesregierung, die religiös motivierte Beschneidung gesetzlich zu erlauben. Zwar ist es richtig und wichtig, hier Rechtssicherheit zu schaffen. Leichtfertig einen Freibrief zu erteilen, ist jedoch nichts anderes, als über eine Bagatellgrenze für religiös motivierte Körperverletzung zu verhandeln.

Wie es anders gehen kann, zeigen jüdische Gemeinden in Großbritannien. Dort wird das religiös geforderte frühkindliche Ritual der Beschneidung ins Schmerzlos-Symbolische verschoben und die Entscheidung über den tatsächlichen Eingriff dem Betroffenen selbst überlassen, wenn er als Jugendlicher selbst einwilligungsfähig ist.

Raju Sharma