Persönliche Erklärung nach § 31 GO BT zu den Gesetzentwürfen über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes

Der Bundestag hatte heute über zwei Gesetzentwürfe zur Regelung von Beschneidungen an männlichen Kindern abzustimmen. Raju Sharma begründet in einer Persönlichen Erklärung nach § 31 Geschäftsordnung des Bundestages, warum er den Gesetzentwurf der Bundesregierung ablehnt.

Der Bundestag hatte heute über zwei Gesetzentwürfe zur Regelung von Beschneidungen an männlichen Kindern abzustimmen. Nach dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf sollen Eltern zukünftig wirksam in die Beschneidung ihrer minderjährigen Jungen einwilligen können, sofern sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen wird und das Kindeswohl nicht gefährdet ist. Dabei soll es zukünftig erlaubt sein, dass zumindest Beschneidungen von unter sechs Monate alten Säuglingen auch von medizinischen Laien durchgeführt werden.

Ich lehne den Gesetzentwurf der Bundesregierung unter anderem aus folgenden Gründen ab:

Das Kölner Landgericht hat in seinem Urteil vom 7. Mai 2012 auf der Grundlage der bestehenden Gesetze für Recht erkannt, dass eine rein religiös motivierte Beschneidung eines vierjährigen Jungen rechtswidrig war. Weil es wegen dieser Einzelfallentscheidung öffentliche Proteste gab, hat sich eine Mehrheit des Bundestages im Rahmen einer Sondersitzung dafür ausgesprochen, die bestehenden Gesetze zu ändern, um die religiös motivierte Beschneidung zukünftig zu erlauben.

Die Verunsicherung, die das Urteil des Landgerichtes Köln ausgelöst hat, ist aus meiner Sicht verständlich, zumal die Beschneidung minderjähriger Jungen sowohl im Judentum als auch im Islam eine lange Tradition hat, die auch in Deutschland über viele Jahre offen und öffentlich praktiziert worden ist, ohne dass ihre rechtliche Zulässigkeit bisher in Zweifel gezogen wurde.

Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass es in den vergangenen Jahrzehnten eine am Kindeswohl ausgerichtete Fortentwicklung des Rechts durch Gesetze und internationale Vereinbarungen gab, zu deren Einhaltung sich auch Deutschland verpflichtet hat.

Über lange Zeit herrschte in Deutschland eine extensive Auslegung des Elternrechts, die den Eltern eine sehr weitgehende Entscheidungsfreiheit in allen Angelegenheiten des Kindes einräumte und zum Beispiel auch das Recht auf körperliche Züchtigung umfasste, das lediglich in Fällen schwerer Kindesmisshandlungen eine Grenze fand. Vor diesem Hintergrund stand auch das Recht von Eltern, im Namen des Kindes in eine Beschneidung einzuwilligen, rechtlich nie in Zweifel. Mittlerweile hat sich jedoch ein anderes Rechtsverständnis durchgesetzt, das Kinder als eigenständige Träger von Rechten begreift.

Verankert wurde dieses Verständnis weltweit in der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 und in Deutschland unter anderem konkretisiert mit der im Jahr 2000 (von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion) durchgesetzten Einfügung eines „Rechts auf gewaltfreie Erziehung“ in Paragraph 1631 Absatz 2 BGB.

Das Dilemma, vor dem die Glaubensgemeinschaften und der staatliche Gesetzgeber stehen, ergibt sich somit durch eine Kollision irdischer Gesetze mit - in diesem Fall von den betroffenen Glaubensgemeinschaften als zentral betrachteten - religiösen Geboten.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der religiöse Glaube des mündigen Menschen zu respektieren und zu schützen ist. Doch für die Religionsfreiheit gilt, was für alle Freiheiten in einem demokratischen Rechtsstaat gilt: Sie ist nicht unbeschränkt. Der Staat hat nicht die Aufgabe, die Religionsausübung zu gestalten. Er hat aber die Aufgabe, Interessen der unterschiedlichen Beteiligten abzuwägen und einen Rahmen vorzugeben, in dem sich alle in dieser Gesellschaft bewegen müssen. Innerhalb dieses Rahmens liegt es in der Eigenverantwortung und in der Gestaltungshoheit jeder Glaubensgemeinschaft, Wege zu finden, die Ausübung ihrer jeweiligen religiösen Gebote mit der staatlichen Rechtsordnung in Einklang zu bringen.

Die Beschneidung von Jungen mag bei entsprechender medizinischer Indikation dem Kindeswohl entsprechen; ein derartiger, nicht umkehrbarer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und in das Selbstbestimmungsrecht eines jungen Menschen kann jedoch nicht allein mit den auf religiösen Traditionen begründeten Wünschen der Eltern gerechtfertigt werden.

Gemeinsam mit 65 weiteren Abgeordneten der Fraktionen von SPD, Bündnis90/Grüne und der LINKEN habe ich einen alternativen Gesetzentwurf zur Beschneidung minderjähriger Jungen eingebracht, der die unterschiedlichen Interessen meines Erachtens angemessen berücksichtigt. Nach diesem Gesetzentwurf ist eine Beschneidung nicht zulässig bei einem Kind unter 14 Jahren. Danach muss der - einsichts- und urteilsfähige - Jugendliche selbst in den Eingriff einwilligen. Die Beschneidung muss von einem Facharzt oder einer Fachärztin vorgenommen werden, und das Kindeswohl muss berücksichtigt werden. Dass die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Altersgrenze nicht an die Volljährigkeit (18 Jahre) sondern an die Religionsmündigkeit (14 Jahre) anknüpft, ist ein Kompromiss, den ich im Hinblick auf die weiteren Anforderungen für die Zulässigkeit einer Beschneidung für vertretbar halte.

Ich stimme für diesen alternativen Gesetzentwurf. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung lehne ich ab.