Religion und Recht und Freiheit. Am Anfang einer langen Diskussion zur Beschneidung

Das Kölner Landgericht hat mit seinem Urteil zur Beschneidung eine rege Debatte ausgelöst. Juden und Muslime befürchten, dass ihr religiöses Leben in Deutschland nicht mehr möglich sei. Schon im Juli hat der Bundestag in einer Sondersitzung, bei der es eigentlich ausschließlich um die Eurorettung gehen sollte, eine Resolution verabschiedet, derzufolge die Bundesregierung bis zum Herbst ein Gesetz vorlegen soll, das eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich ermöglicht. Hier kollidieren gewichtige Rechtsgüter: Religionsfreiheit, das Recht auf gewaltfreie Erziehung und das Persönlichkeitsrecht. Um die notwendige Debatte darum zu führen, hat Raju Sharma zu einer Veranstaltungsreihe in Schleswig-Holstein eingeladen.

Das Kölner Landgericht hat mit seinem Urteil zur Beschneidung eine rege Debatte ausgelöst. Juden und Muslime befürchten, dass ihr religiöses Leben in Deutschland nicht mehr möglich sei. Schon im Juli hat der Bundestag in einer Sondersitzung, bei der es eigentlich ausschließlich um die Eurorettung gehen sollte, eine Resolution verabschiedet, derzufolge die Bundesregierung bis zum Herbst ein Gesetz vorlegen soll, das eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich ermöglicht. Hier kollidieren gewichtige Rechtsgüter: Religionsfreiheit, das Recht auf gewaltfreie Erziehung und das Persönlichkeitsrecht. Um die notwendige Debatte darum zu führen, hat Raju Sharma zu einer Veranstaltungsreihe in Schleswig-Holstein eingeladen.

Für die Podien waren Vertreter der jüdischen und muslimischen Gemeinden, Mediziner und Experten aus dem Bereich des Kinder- und Frauenschutzes vorgesehen. Die ersten beiden Veranstaltungen fanden nun in Kiel und Elmshorn statt. Die Resonanz zeigt, dass das Thema bewegt. Allein in Kiel kamen mehr als 50 Interessierte. Zahlreiche der Gäste,darunter der Propst der evangelischen Kirche und Mitglieder der alevitischen und der jüdischen Gemeinde, der Ärzteschaft und der Universität, brachten als Chirurgen, Anästhesisten, Psychologen, Familienrichter, Erzieher, Polizeibeamte, gläubige Juden oder Muslime ihre jeweils spezielle Sicht in die Diskussion ein. 

Während der Vertreter der islamischen Gemeinde aus familiären Gründen kurzfristig absagen musste, hatten die Vertreter der jüdischen Gemeinden ihre Absagen inhaltlich begründet. So schrieb der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kiels, Joshua Pannbacker, er gehe davon aus, dass die Diskussionen nicht sachlich und respektvoll, sondern emotional und verletzend geführt werden würde. Dem wolle  er sich nicht weiter aussetzen, zumal ein deutsches Gericht nichts an der religiösen Erziehung ändern würde, die eine Beschneidung am achten Tag vorsieht. 

Die Sorge, in der Diskussion könnten rassistische oder antisemitische Ressentiments bedient werden, erwies sich als unbegründet. Tatsächlich wurden zahlreiche ernste, im Raum stehende Fragen erörtert und teilweise auch beantwortet. Bedauert wurde allerdings das Fehlen von offiziellen Vertretern der betroffenen Glaubensgemeinschaften. 

Dr. Thomas Quack (Urologenverband Schleswig-Holstein) schilderte, worum es sich bei der Beschneidung überhaupt handelt und unter welchen Umständen sie medizinisch geboten ist. Wie alle operativen Eingriffe handele es sich bei der Beschneidung um eine Form der Körperverletzung. Zwar seien dies heutzutage Routineeingriffe; zu Komplikationen komme es selten, jedoch seien sie signifikant. „Das Sterberisiko ist gering, aber man solle nicht so tun, als ob es nicht vorhanden wäre“, so Dr. Quack. So kam es vor einigen Jahren zu einem Todesfall in einer Hamburger Klinik, nachdem bei der Narkose ein Medikament falsch dosiert wurde. Wenn überhaupt eine Beschneidung durchgeführt werden solle, dann müsse dies unter Betäubung und ärztlicher Kontrolle unter hygienisch einwandfreien Bedingungen geschehen. 

Irene Johns (Kinderschutzbund Schleswig-Holstein) unterstrich in ihrem Beitrag die Schwierigkeit der Güterabwägung. Zum einen hätten Kinder einen Anspruch auf gewaltfreie Erziehung und Persönlichkeitsentwicklung, zum anderen stelle gerade für viele muslimische Jungen die Beschneidung einen wichtigen Moment in ihrem Leben dar – endlich gehören sie zur Welt der Erwachsenen dazu. Ebenso könne eine jahrtausendealte religiöse Praxis wie die jüdische Brit Milah nicht von heute auf morgen beendet werden. 

Etwas Gutes konnte Johns der Diskussion aber schon jetzt abringen: „Endlich wird ernsthaft über Kinderrechte diskutiert.“ Sie müssten den Weg in die Verfassung finden. Ein Vorschlag, den auch die Linksfraktion im Deutschen Bundestag unterstützt, weil so Kinder und Jugendlichen eigenständige Träger von Rechte im Verhältnis zu den Eltern und zum Staat werden.

Heidemarie Grobe vom Frauenrechteverband „Terre des Femmes“ wies in ihrem Beitrag darauf hin, wie ähnlich die Argumentationslinien zur Beschneidung von Jungen und zur Genitalverstümmelung bei Mädchen seien. Zwar sei ein Vergleich von Beschneidung bei Jungen und Genitalverstümmelung bei Mädchen hinsichtlich der Schwere und der Folgen des Eingriffs nicht statthaft. Die religiösen Begründungen für den Eingriff, seien aber sehr ähnlich. „Glaubwürdig gegen religiös motivierte Genitalverstümmelung zu kämpfen, bedeutet, gesellschaftlich erkämpfte Normen und Werte nicht dem Kulturrelativismus zu opfern“, so Grobe. Die Debatte stehe aber erst an ihrem Anfang. 

André Schulz, der sich als Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter in einer gemeinsamen Petition mit der Deutschen Kinderhilfe, dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, Prof. Matthias Franz und zahlreichen Einzelpersonen für ein Moratorium und die Einrichtung eines Runden Tisches stark gemacht hatte, teilte die Auffassung, dass die Beschneidung eine Körperverletzung darstelle. Mit Rücksicht auf die Entwicklung des Rechtsdiskurses im Bereich des Kinderschutzes als Präventionsarbeit hat die Polizei klar Stellung bezogen. Aus seiner Sicht sei eine Beschneidung kaum mit dem Kindeswohl in Einklang zu bringen, Risiken würden allzu schnell heruntergeredet. Der schnelle Ruf nach einem Gesetz würde die jetzt entstandenen Probleme nicht lösen, denn entweder ließe man die Beschneidungen bei allen offenen Fragen zu oder verbietet sie. In diesem Falle solle man sich keine Illusionen machen: „Die Menschen werden weiter beschneiden – entweder in der Illegalität, was erst recht nicht dem Kindeswohl gerecht wird, oder im Wege eines Beschneidungstourismus.“ 

Wichtig sei für ihn daher, dass die Diskussion jetzt umfassend und möglichst auch erschöpfend geführt wird. Bei aller Kritik müsse immer darauf geachtet werden, dass es nur um Aufklärung der hier lebenden Menschen gehen kann: „Wer meint über eine Beschneidungsdebatte jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland zur Disposition stellen zu können, hat nichts verstanden. Muslime und Juden werden auch weiterhin Teil der deutschen Gesellschaft sein und ihr kulturelles Leben wird an Bedeutung gewinnen“, so Schulz.

Für Ali Özgür Özdil vom Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstitut ist die Beschneidung im Islam essentiell. Nur sie stelle sicher, dass ein männlicher Muslim rituell rein das Gebet (Salat) verrichten und die islamische Pilgerfahrt (Haddsch) absolvieren könne. Beides seien wesentliche Bestandteile der „Fünf Säulen des Islams“, der religiösen Glaubensgrundlagen. Wie tief verwurzelt die Beschneidung im kulturellen Selbstverständnis der Menschen sei, würde er immer wieder erfahren, wenn muslimische Frauen eine feste Partnerschaft mit einem Nicht-Muslim eingingen. Oftmals bestünden sie unabhängig von religiösen Fragendarauf, dass der Partner sich beschneiden lässt.

Die Heftigkeit mit der die Debatte derzeit geführt würde, überrasche ihn nicht. Insbesondere aus jüdischer Sicht sei der Widerstand gegen ein Verbot verständlich. Darüber hinaus nehme auch er zur Kenntnis, dass in einer säkularen Gesellschaft alles religiöse im gesellschaftlichen Leben als störend empfunden wird. Die Beschneidung sei neben vielen anderen Aspekten eben auch ein Zeichen von religiöser Überzeugung und Praxis. Gefährlich werde es nur dann, wenn hinter der Maske der aufklärerischen Religionskritik rassistische, antisemitische und antiislamische Hetze betrieben wird. Özdil schlug einen Perspektivwechsel vor: „Versetzen sie sich doch bitte in die Lage von jüdischen und muslimischen Menschen in unserem Land und bewerten sie dann die vorgebrachten Argumente.“

Den Einwand, dass Kinder im Rahmen der Religionsfreiheit selber entscheiden, welchem Glauben sie angehören wollen, halte er für eine Illusion. Religiöse Praxis werde vom Großteil der Menschen über Nachahmung erlernt. Die Eltern gingen davon aus, dass die eigenen für sie richtigen Überzeugungen auch für ihre Kinder der beste Weg sind ihr Leben zu gestalten. Notwendig sei eine offene und ehrliche Grundsatzdebatte, die sich der Frage nähert, ob der Islam zu Deutschland gehört und ob wir ein säkularer oder ein laizistischer Staat sein wollen. Erst über den Gesamtdiskurs sei es möglich, dann auch Einzelfragen zu klären. Für die Beschneidung müsse dies etwa bedeuten: Nur schmerzfrei unter hygienischen Bedingungen von einem ausgebildeten Mediziner.

Das unterstrich auch Raju Sharma, der eine ruhige und sachliche Debatte ohne Hektik für unabdingbar hält: „Die Diskussionen haben meine Auffassung bestätigt, dass es einen schnellen und rechtssicheren Weg zu einem Beschneidungsgesetz nicht geben kann. Zu viele Fragen sind offen und müssen gemeinsam erörtert werden. Deshalb ist es wichtig, Sprachlosigkeit zu überwinden, wo es sie noch gibt. Daher wünsche ich mir, dass insbesondere die Repräsentanten der jüdischen Gemeinden den Dialog mit der Gesellschaft wieder aufnehmen - gerade im Falle vorhandener Differenzen. Wer – zurecht - einen respektvollen und offenen Umgang erwartet, sollte seinen Freunden ein Gespräch nicht verweigern.“